HEIDSCHNUCKEN-SCHÄFEREI IN DER SENNE
NATURSCHUTZ UNTERM UNION JACK
Fenster in eine andere Zeit
Lange bevor die moderne Landwirtschaft dem Senne-Idyll einen Einheitsstempel auf drücken konnte, belegten die Militärs Ende des 19. Jahrhunderts große Teile des Gebietes. Dadurch blieb in den Truppenübungsplätzen "Senne" und "Stapel age" eine historische Kulturlandschaft erhalten, die man sonst nur von alten Fotos kennt: halboffene Zwergstrauchheiden, großflächige, von flachen Dünen durchsetzte Sandmagerrasen, lichte Kiefernwäldchen, klare Bäche und Heidemoore. Nirgendwo in Nordrhein-Westfalen gibt es ein bedeutenderes Ensemble von Natur schätzen. Sie entwickelten sich auf den nährstoffarmen, sauren Sanden, die am Ende der vorletzten Eiszeit dort abgelagert worden sind. Die Bodennutzung war durch Schafweide und Plaggenwirtschaft geprägt. Einen ähnlichen Effekt wie das Schälen der Böden oder die Weide wirtschaft hatten später die Heidebrände, die durch den militärischen Übungsbetrieb entfacht wurden. Sie drängten den sich aus breitenden Kiefernwald immer wieder einmal zurück. Die Feuer bedeuteten allerdings ein unkalkulierbares Risiko.
Voraussetzung: Bleifrei
So einigten sich in den 1980er-Jahren die britischen Platzherren mit den Mitgliedern der "Arbeitsgruppe Landschaftspflege und Artenschutz e.V." (ALA), dass der offene Charakter der Landschaft mit schonenden Mitteln erhalten werden sollte. Gemeinsam begann man, den Gehölzaufwuchs auf den Flächen zu beseitigen, die für den Naturschutz besonders wertvoll sind. Doch für Handarbeit war das Gebiet zu groß. Der Wettlauf gegen Birke und Kiefer war nur mithilfe einer genügsamen Schafherde zu gewinnen. "Vor 20 Jahren haben wir mit zwölf Heidschnucken angefangen", berichtet Dr. Gerhard Lakmann, heute wissenschaftlicher Leiter der Biologischen Station Paderborner Land. "Über hundert Senne-Begeisterte haben in der Startphase Schafpatenschaften übernommen, sodass wir rasch eine große Herde aufbauen konnten."
Das Experiment "friedliche Koexistenz" klappt seither vorbildlich – dank gegenseitiger Rücksicht und täglicher Absprachen. So geht die Herde im Sommer schon im ersten Morgengrauen in die Heide. Wenn um neun Uhr die Schießübungen beginnen, müssen die Schnucken die Schusslinie geräumt haben. Hinter einem mobilen Zaun widmen sie sich der Verdauung. Ab 16.30 Uhr dürfen sie dann eine zweite Mahlzeit einnehmen. Der winterliche Kurztag reicht dagegen nur für einen Weidegang. Jeden Morgen erkundigt sich die Schäferei deshalb bei der britischen Range Control, wo die Luft garantiert "bleifrei" bleibt, und nur dorthin darf die Herde ziehen. "Die Schäfer sind absolut zuverlässig", lobt Major Martin G. Waters von den britischen Streitkräften die Zusammenarbeit. "In 20 Jahren wurde noch kein einziges Schaf totgeschossen – ich glaube, es ist nur einmal eines gestorben, weil ihm ein Stück Holz auf den Kopf gefallen ist."
Abschreckung gegen Zicken-Krieg
Heute bilden 450 Mutterschafe den Stamm der Herde. Gemeinsam mit ihnen werden acht Böcke gehütet, aber erst im Herbst und nur für wenige Wochen. Sie kennen ihre Aufgabe. Die herbstlichen Flitterwochen bieten Gewähr, dass alle Lämmer im zeitigen Frühjahr zur Welt kommen. Geburtshilfe müssen die Schäfer nur bei wenigen Tieren leisten. Wenn die geburtenstarken Wochen beginnen, werden angehende Muttertiere vorübergehend im Stall einquartiert. Dort lassen sie sich mit ihren Lämmern besser auf die Rückkehr ins Gelände vorbereiten. Zusammen mit den Schnucken sind auch knapp 20 Ziegen unterwegs. Im Gegensatz zu den Schafen richten sie sich gern an jungen Bäumen auf und ziehen die Zweige herunter. Auf diese Weise ergänzen sich beide Arten bei der Landschaftspflege. Zickiges Betragen wie Hörnereinsatz gegen Lämmer duldet Renate Regier, die Schäfermeisterin, nicht. "Wer sich nicht benimmt, fliegt raus", sagt sie freundlich lächelnd. Was das genau bedeutet, beantwortet sie mit der Aufzählung der Produkte, die man ab Hof kaufen kann: Neben Fellen, Schnuckenfleisch und –salami und herzhaften "Heideknackern" ist nämlich auch Ziegenmettwurst im Angebot. Die Drohung scheint zu wirken. Schafe und Ziegen sind lammfromm.
Die Kenner der Senne könnten sich keine bessere Schäferin vorstellen, denn das Hauptaugenmerk der diplomierten Biologin und erfahrenen Tierwirtin giltnder Erhaltung der Heide. Die Heidschnucken -Schäferei hat sich inzwischen zu einem bedeutenden Publikumsmagneten in der Senne-Region entwickelt. In jedem Jahr besuchen mehrere Tausend Besucher die Heidschnucken, insbesondere zur Lammzeit im März und April oder am Tag der offenen Tür jeweils Ende August, dem sogenannten "Heideblütenfest".
Starke Persönlichkeiten
Bei einer Zahl von fast 900 Schafen, Muttertieren und Lämmern, kann man nicht jedes Tier wiedererkennen, aber einige besondere Persönlichkeiten bleiben im Kopf. "Es sind zum Beispiel immer dieselben, die das Schlusslicht bilden, wenn wir weiterwollen", erklärt Schäfermeister Markus Laabs. Er kann den notorischen Trödlern aber durchaus gute Seiten abgewinnen: "Wenn die da sind, wissen wir, die Herde ist vollzählig." Trotzdem kann es im Sommer einmal vorkommen, dass ein Schaf unbemerkt den Kontakt zu den Artgenossen verliert. "Die laufen dann von allein die Pferchplätze ab, bis sie die Herde gefunden haben." Sind Schafe dafür nicht zu dumm? "Keine Spur, unsere Schafe merken sich sogar die Wege, die wir nur einmal im Jahr gehen, und wenn ich irgendwo ungewohnt abbiege, dann bleiben sie erst mal stehen, als wollten sie fragen: ,Da lang – bist Du sicher?’".
Wer feststellen möchte, was dran ist am Kinderbuchklischee des Schäferberufs, kann sich die Arbeit bei Schäferpaar Markus Laabs und Renate Regier gerne anschauen, oder besser noch, ehrenamtlich helfen. "Hier ist immer etwas zu tun, und natürlich sind auch wir fremdbestimmt", fasst die geduldige Schäferin die Tätigkeiten zusammen, "aber den Tagesablauf diktieren hier garantiert die vierbeinigen, keine zweibeinigen Schafe."




… dass Heidschnucken, weil sie sich viel bewegen, ein dunkles, fettarmes und besonders delikat schmeckendes Fleisch besitzen?
… dass die wilden Ahnen der Heidschnucken Mufflons waren, die heute noch auf Sardinien und Korsika leben?
… dass Schnuckenlämmer stets schwarzgelockt geboren werden und erst mit einem Jahr das hellgraue Fell der Erwachsenen bekommen?
… dass die Wolle der Heidschnucken zwar gut wärmt, sich spinnen und stricken lässt, aber recht kratzig ist? Deshalb wird sie fast nur für grobe Gewebe wie Teppiche verwendet.
Stand der Angaben: Magazin der NRW-Stiftung 3/2007
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