DAS LEPRAMUSEUM IN MÜNSTER
GOTTES KINDER VOR DEN TOREN DER STADT


Bild: Henri Kugener


Bild: Ralf J. Günther
Zwischen Leben und Tod
Es klingt makaber, dass sich in unmittelbarer Nähe zum Kölner Leprosenheim eine Richtstätte befand, die unter anderem durch Hexenverbrennungen traurige Berühmtheit erlangte. Doch hatte die Gesellschaft auch über die Aussätzigen ein Urteil gesprochen: Rechtlich gesehen zählte man sie zu den Verstorbenen. Zwar bildete das Melaten-Leprosorium eigentlich eine durchaus lebendige Ansiedlung mit Wohnhäusern, Scheunen und Ställen, ja sogar einem Wirtshaus. Der gesamte Komplex wurde aber durch eine Mauer von der Außenwelt abgeschlossen. Das entsprach einer kirchlichen Bestimmung von 1179, die den Aussätzigen die Gemeinschaft mit den Gesunden untersagte, zugleich aber auf die Schaffung von Siechenanstalten drang, damit die Betroffenen nicht irgendwo dahinvegetieren mussten.
In NRW erinnern noch viele Stätten an das Schicksal der Aussätzigen. So findet man zum Beispiel in Essen-Rüttenscheid eine Siechenkapelle aus dem 15. Jahrhundert. Ähnlich wie der Kölner Melatenfriedhof erinnert überdies in Aachen das "Gut Melaten" an ein ehemaliges Leprosorium. Auch im Arnsberger "Seufzertal" mussten die Erkrankten früher ein mitunter recht langes Leben im Abseits führen. Denn anders als die Pest, deren Seuchenzüge in rasendem Tempo zahlreiche Opfer hinwegraffen können, tötet die Lepra nicht kurzfristig. Für die meisten Menschen ist sie sogar völlig ungefährlich. Aber auch die etwa fünf Prozent der Infizierten, die – manchmal erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Ansteckung – tatsächlich erkranken, können danach noch lange leben.
Bricht die Lepra aus, überschwemmen bei manchen Verlaufsformen Billiarden (!) von Bakterien den Körper. Knotige Hautveränderungen entstellen dabei zusammen mit einem Einsinken der Nase die Gesichtszüge. Bei anderen Leprainfektionen, die zu Nervenentzündungen und Lähmungen führen, spüren die Betroffenen keine Verletzungen und Verbrennungen mehr und büßen dadurch oft Finger oder sogar ganze Gliedmaßen ein. Der Tod tritt meist erst durch Folgeerkrankungen ein, die der geschwächte Körper nicht mehr einzudämmen vermag.


Bild: Bernd Hegert
Die Kinder Gottes
Das Leprosenhaus bei Münster wurde erstmals im Jahr 1333 erwähnt. Sein Name ist heute auf einen ganzen Stadtteil übergegangen: Münster-Kinderhaus. Denn als "arme Kinder Gottes" wurden die Kranken früher oft bezeichnet. Das Haus, in dem sie lebten, wurde zwar 1840 abgerissen, aber auf dem umgebenden Gelände stößt man immer noch auf beeindruckende Spuren der Vergangenheit. So ist in einer Mauer die ehemalige Durchreiche zu erkennen, durch die Lebensmittelspenden in den Isolationsbereich gelangen konnten. Nur wenige Meter entfernt steht das dem Lepraschutzheiligen geweihte Lazarushäuschen. Mit Inschriften forderte es die Vorbeikommenden zu Geldspenden auf, die in den "Armenpost" geworfen werden konnten, einen eigens dafür vorgesehenen Sammelkasten. Dominiert wird das historische Ensemble am nördlichen Stadtrand Münsters von einem langgestreckten Fachwerkbau aus dem 17. Jahrhundert, der damals allerdings nicht mehr als Leprosorium, sondern als Armenhaus genutzt wurde. In einem direkt anschließenden kleineren Gebäude, in dem früher die Dienstwohnung der Verwalter lag, hat seit 1986 das Museum der "Gesellschaft für Leprakunde" seinen Sitz. Texttafeln und Vitrinen konnten jüngst mithilfe der NRW-Stiftung neu gestaltet und durch ein Leitsystem besser erschlossen werden. Deutlich wird dabei, wie groß das Problem Lepra in Ländern wie etwa Nepal nach wie vor ist.
Risiko Gürteltier
Das Museum in Münster befasst sich mit der lokalen und der globalen Geschichte der Lepra, mit ihren Spiegelungen in der Kunst und mit medizinischen Aspekten. Man erfährt zum Beispiel, warum das Hantieren mit Klappern einst zu den Pflichten der Kranken gehörte, wie der Tagesablauf in einem Leprosorium aussah und dass Gürteltiere Lepra verbreiten können, ohne selbst Symptome zu entwickeln.


Bild: Bernd Hegert

Die grosse Siechenbande
Krankheit als Tarnung – das war das kriminelle Konzept einer Bande, die von 1698 bis 1712 im Rheinland zahlreiche Raubmorde beging. Ihre Mitglieder benutzten Leprosenheime in Köln, Düsseldorf, Ratingen und anderswo als Rückzugsbastionen vor einer Justiz, die im Umfeld der gefährlichen Lepra offenbar ungern Ermittlungen anstellte. Erst die prahlsüchtigen Enkel des Bandenchefs, die sich mit den Untaten ihres Großvaters brüsteten, ließen die Räuber schließlich auffliegen. Im 18. Jahrhundert wurde die Lepra im Übrigen so selten, dass in vielen Siechenhäusern kaum noch wirkliche Kranke lebten. Stattdessen gab sich manch einer als aussätzig aus, nur um sich eine bequeme Versorgung zu sichern. Auch deswegen wurden schließlich die meisten Lepraanstalten endgültig aufgelöst.Stand der Angaben: Stiftungsmagazin 2013/3
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