WANDERAUSSTELLUNG "EVOLUTIONTOUR" DES NEANDERTHAL MUSEUMS
EVOLUTION AUF TOURNEE


Eine bessere "Absender-Adresse" als den Fundplatz des Neandertaler-Skeletts hätte man kaum wählen können, handelt es sich doch beim Homo neanderthalensis um den nordrhein-westfälischen Kronzeugen der Menschwerdung. Und es waren zwei im Rheinland ansässige Anthropologen, Johann Carl Fuhlrott und Hermann Schaaffhausen, welche den Fund begutachteten und seine Bedeutung erkannten. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Jahr 1865, sechs Jahre bevor Darwin mit seinem Buch "Die Abstammung des Menschen" erneut Furore machte. Im westfälischen Lippstadt wirkte ein anderer Pionier der Evolutionsbiologie, der Schullehrer Hermann Müller. Er untersuchte vor allem die Abhängigkeit zwischen den Blütenpflanzen und den sie bestäubenden Insekten, ein wissenschaftliches Feld, auf dem auch Charles Darwin immer wieder forschte und das ihm wertvolle Impulse für seine Arbeit gab. Beide wechselten viele Briefe und schätzten sich gegenseitig sehr. Über den Lippstädter schrieb Darwin: "Hermann Müller ist ein so exakter Beobachter und scharfer Denker, dass ich immer zögere, etwas zu veröffentlichen, wenn ich nicht mit ihm übereinstimme."


Die Ausstellung nimmt allerdings wesentlich mehr in den Blick als den Neandertaler und die Pioniere der Evolutionsforschung. In ihrem Mittelpunkt stehen die Grundlagen und Phänomene der Evolution selbst: Sexualität, Zufall, Anpassung und Vielfalt lauten die Stichworte, die als isolierte Wörter wie eine Provokation wirken. Neugier wecken sollen auch die Fragen, die außen um die Container laufen: Bin ich ein Mutant? Sind wir die Dinosaurier von morgen? Haben Pflanzen auch Sex? – Wer die Ausstellung besucht, erhält die Antworten. Im Kontext der Evolution werden die Reizworte zu Schlüsselbegriffen für die Entstehung und Wandlung aller Organismen. Dafür verlassen die Ausstellungsmacher die angestaubten Pfade klassischer Museumsdidaktik und eröffnen dem Besucher neue Perspektiven. Um etwa die schwer fassbare Dimension des Faktors Zeit maßstabsgerecht darzustellen, wurden die Jahrmillionen der Evolution als Seil auf Kabeltrommeln gespult. Mit einer Kurbel kann man so die menschliche Ahnenreihe buchstäblich "entwickeln" und beiläufig feststellen, dass die Existenz des Menschen im Vergleich zum Alter des Lebens auf der Erde erst einen Wimpernschlag dauert.


So könnte die Frage lauten, die von einer anderen Installation beantwortet wird. Als Gradmesser des Erfolgs gelten hier einmal nicht Stellung im Stammbaum, Körpergröße oder Einfluss auf die Umwelt, sondern schlicht die Anzahl der Individuen. Und siehe da, der Mensch ist ein Statist, ungeachtet seines rasanten Bevölkerungswachstums in den vergangenen Jahrhunderten. Unter den Vielzellern gehören die Insekten zu den wahren Herrschern des Planeten, denn ihre Anzahl übertrifft die des Menschen gleich um ein Vieltausendfaches. Eine riesige Ameise dominiert deshalb das Bild, während das größte lebende Tier, der Blauwal, mit einer Lupe gesucht werden muss, so klein ist seine Individuenzahl.
Der Zufall als Motor
Dass die Entstehung und Entwicklung der Lebewesen eine Verkettung von Zufällen sein soll, macht Darwins Theorie manchen Menschen suspekt. Dabei führen Zufälle und Irrtümer oft die Regie bei Erfolgsgeschichten. Wer wüsste das besser als Christoph Kolumbus, der sich beim Erdumfang grob verrechnete und einen Kontinent entdeckte, den er nicht gesucht hatte – oder Alexander Fleming, der sich über eine von Schimmelpilzen verunreinigte Bakterienkultur ärgerte und erst dann feststellte, dass die Ausscheidungen des Pilzes die Bakterien abtöteten. Auf die Idee, ein Medikament daraus zu gewinnen, kam er jedoch nicht, das taten andere und auch erst zehn Jahre später.



Darwins Vermächtnis in Gefahr?
Charles Darwin (1809-1882) war nicht der Einzige, der versuchte, die Entstehung aller Lebensformen mit naturwissenschaftlichen Methoden und unabhängig von der biblischen Genesis zu erklären. 1859, also vor genau 150 Jahren, war er aber der Erste, dem es gelang, die Vielzahl bis dahin rätselhafter biologischer Einzelbeobachtungen in eine plausible wissenschaftliche Theorie zu gießen und diese in die Öffentlichkeit zu tragen. Das Darwin-Jahr 2009 ist deshalb der Anlass, die Evolutionslehre als zentrale biologische Theorie zu würdigen, die uns die Zusammenhänge allen Lebens auf der Erde erschließt. Neben dem Jubiläum gibt es aber auch einen gesellschaftlichen Bedarf, Aufklärung zu betreiben. Seit einigen Jahren nämlich versuchen Kreationisten auch in Europa, Darwins Erkenntnisse als Irrweg darzustellen. Wenn es nach ihnen ginge, würde die Evolutionslehre aus dem Biologieunterricht der Schulen verbannt und durch den Schöpfungsmythos des Alten Testaments ersetzt. Bildungspolitikern und Wissenschaftlern kommt das so vor, als würde man von Geografielehrern fordern, die Erde wieder als Scheibe zu betrachten. Der beste Schutz gegen solche Bestrebungen ist es deshalb, Wissenschaft verständlich und spannend zu vermitteln – und dafür bietet die Evolution reichlich Stoff.Stand der Angaben: Magazin der NRW-Stiftung 3/2009
Kommentare
Sie haben dieses Projekt der NRW-Stiftung bereits besucht? Dann schreiben Sie uns, wie es Ihnen gefallen hat. Kommentar verfassen
